Im Schweiße deines
Angesichts (Gen3,19) –
Das ist es mir wert.
Im Schweiße deines Angesichts (Gen 3,19) – Das ist es mir wert
Predigt von Ulrike Greim
Davor hatte er sich immer gefürchtet. Dass er einmal so landet: Im Flatterhemd auf
einer Pritsche liegend, die Kanüle bereits im Handrücken, schlotternd vor Angst. Es
ist der Raum vor der OP-Tür. Die Beruhigungspille hatte nichts bewirkt. Seine
Gedanken kreisen. Das Neonlicht zwickt in seinen Augen. Klack, zzzzzzzt, die Tür
zum Operationssaal öffnet sich, Ärzte und Pfleger kommen plaudernd heraus, an
ihm vorbei. Alles Routine hier. „Es geht gleich los“ sagt die Schwester in ruhigem
Ton zu ihm gebeugt. Hätte sie es mal lieber nicht gesagt. Sein Puls steigt. Gleich
halten wildfremde Menschen sein Herz sprichwörtlich in der Hand.
Es ist ihm, als schwebe er jetzt schon zwischen Himmel und Erde. Der Anästhesist
kommt und erklärt noch einmal, was nun passiert. Was sagt er? Keine Ahnung, alles
zu kompliziert. Aber wird schon gutgehen. Wird doch, oder? „Herrgott im Himmel,
steh mir bei!“ betet er, der sonst nie betet. „Bring mich hier lebend raus“. Er ist 59
und nicht bereit, zu sterben.
Sie schieben ihn in den Saal. Viele Menschen mit Mundschutz, Haube und Kittel in
grün laufen beschäftigt herum. Apparate piepsen. An der Wand: die Uhr. Tick, tick,
tick. Wenn der Sekundenzeiger noch tickt, wenn ich aufwache, habe ich es
geschafft, denkt er noch. Wenn nicht, bin ich auf der anderen Seite. Der Rest
verschwimmt im Nebel. Das Licht ist blau.
Er wird vom Vater durch die Luft gewirbelt, sie sind im Garten, er ist vier. „Nochmal“
ruft er. Und sieht seine Familie, die Linde, das Haus – alles dreht sich. Er hat eine
glückliche Kindheit. Liebt den elterlichen Laden, lernt früh rechnen und kann mit
zwölf bereits die Bilanzen lesen. Er studiert, findet eine schöne Frau, gründet eine
Familie. Und eine Firma. Die wächst. Er ist clever. Champagner am Tag, als sie an
die Börse gehen. Arbeiten bis zum Umfallen. Und dieses mulmige Gefühl, dass
etwas fehlt. Eines Tages steht diese blonde Studentin vor ihm und sein Herz schlägt
wieder schneller. Scheidung – schmutzig. Geld regelt fast alles. Nur die Kinder
wollen nichts mit ihm zu tun haben. Dieses Ziehen in der Brust. Und dann der Tag,
als sein Freund stirbt. Alles vorbei. Plötzlich. Und wie er dann mit den Kumpels
dessen Wohnung ausräumt. All die Trophäen – wem gibt man die jetzt? Für wen
sind die wichtig? Dann die langen Gespräche mit seinem früheren Kommilitonen
auf der Kellertreppe. Ihn fragt er: „Ergibt das alles einen Sinn?“
Der schweigt lange. Wiegt einen Pokal in seiner Hand hin und her. Liest den Titel,
die Jahreszahl. Und zitiert die Worte von der Beerdigung gestern. „Im Schweiße
deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde wirst, davon du
genommen bist. Denn Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück.“ (Gen 3)
Wieder langes Schweigen. Der Freund packt den Pokal in die Kiste für den
Entrümpler. „Es ist unser Schweiß, der die Dinge wertvoll macht. Unser Herzblut.
Aber selbst all das ist keine Garantie, dass unser Leben eine Bedeutung hat. Der
eigentliche Sinn ist, dass wir hier sind. Ich glaube, es geht darum, dass wir einfach
menschlich da sind.“
Es ist ihm, als würde er mit einem großen Atemzug aus tiefem Wasser auftauchen.
Er hört seinen Namen. Jemand beugt sich über ihn. „Können sie mich sehen? Sie
haben es geschafft. Es ist gut gegangen.“ Das Licht ist blau. Die Uhr tickt.