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Im Schweiße deines Angesichts Das ist es mir wert. von Hans-Joachim Haller (Sprechstück für drei Personen) SPRECHER: Juni. Ein heißer Sommertag bricht an. Die Sonne geht auf. Die Vögel haben ihr morgendliches Konzert begonnen. Ein Verkehrsunfall an einer Landstraße ist gerade geschehen. Ein Auto, ein schwerer SUV ist von der Straße abgekommen, nachdem der Fahrer einen Wildunfall vermeiden wollte. Das Fahrzeug ist über die Leitplanke hinweg eine steile Böschung rund 10 Meter hinabgestürzt. Das Auto hat sich mehrfach überschlagen und ist dann am Waldrand gegen einen Baum geprallt. Das Auto liegt auf dem Dach und ist komplett zerstört. Bläulicher Qualm steigt aus dem Motorraum auf. Der schwerverletzte Fahrer ist in seinem Fahrzeug eingeklemmt. Immer mehr Autos kommen nun an der Unfallstelle zum Stehen. Menschen steigen aus ihren Fahrzeugen und beobachten das Unfallauto aus sicherer Entfernung. Einige Beobachter telefonieren und sprechen aufgeregt gestikulierend in ihre Mobiltelefone. In der Ferne hört man Martinshörner sich nähern. Der Transporter eines Malerbetriebes kommt zum Stehen. Der Fahrer, gekleidet in Malermontur steigt aus und filmt mit seinem Handy das auf dem Dach liegende Auto. ER: Ich sterbe Herr, ich verrecke! Warum tust du mir das jetzt an? GOTT: ER: Herr, ich spreche mit dir… ich darf jetzt nicht sterben… Man braucht mich noch… Meine Familie… Die Mitarbeiter… GOTT: ER: Herr verdammt, ich liege hier in meinem Blut, alle Knochen gebrochen. Ich glaube ein Ast hat sich mir in den Unterleib gebohrt… Ich spüre keinen Schmerz mehr. GOTT: ... ER: Warum denn jetzt Herr? Warum nur? Ich habe noch so viel vor… GOTT: ER: Warum denn jetzt? GOTT: ER: Ich habe Angst! GOTT: ER: Ich habe Angst… GOTT: ER: Ich habe Angst… GOTT: Fürchte dich nicht, ich helfe dir. ER: GOTT: ER: …Was war mein Leben wert? Rita? Rita? Die hat in einem Jahr bestimmt einen Neuen… GOTT: ER: (murmelt) Hat es sich gelohnt? (schreit) Hat es sich gelohnt? Hat es sich gelohnt? War es das wert? Was war mein Leben wert… GOTT: ER: Ich meine, hat es sich für MICH gelohnt, dieses Leben? … Rita und die Kinder haben das Haus und die Ferienwohnung in der Schweiz… alles ist abbezahlt… die Lebensversicherungen, meine Rente… ICH (!) hinterlasse keinen Scherbenhaufen… GOTT: ER: ... Werden sie mich vermissen? GOTT: ER: ... Werden sie mich vermissen? GOTT: ER: ... Wird mich überhaupt irgend jemand vermissen?? GOTT: ER: Mein Lebensweg endet in einem Auto! Wer hätte das gedacht. Ha! Und ausgerechnet in ihrem brandneuen Hybrid-SUV. Da wird sie sich ärgern, dass ich ihre Karre geschrottet habe. Volllederausstattung, pahh (er lacht ironisch) GOTT: ER: Termine... Termine... Keine Termine mehr, das hat jetzt ein Ende. Nie wieder Termine… GOTT: ER: Warum sprichst du jetzt mit mir, wo es zu Ende geht. Du hast nie mit mir gesprochen. Wo hast du dich die ganzen Jahre herumgetrieben als ich dich gebraucht hätte? GOTT: ER: …Wo warst Du?? GOTT: Du hast nie zugehört. ER: GOTT: ER: …Paul… GOTT: ER: …Paul… GOTT: ER: …Als mein Sohn den Motorradunfall hatte, Herr da hätte ich dich gebraucht… GOTT: ER: Als Paul dann gestorben ist, hätte ich dich gebraucht... Als meine Mutter gestorben ist, hätte ich dich gebraucht. Wo warst du? GOTT: … ER: Zuhören ist nicht meine Stärke! Ich bin ein Macher! Ich kann was bewegen... Ich habe begeistert. Nach vorne schauen. Visionen entwickeln. In die Zukunft vorausdenken und neue Wege beschreiten. Ich gehe nicht in den ausgetretenen Fußstapfen von anderen. Ich bin der Erste, der vorangeht. ICH habe Spuren hinterlassen!! GOTT: ER: Ich habe Spuren hinterlassen! GOTT: ER: Ich habe Spuren hinterlassen… GOTT: ER: Ich habe Spuren hinterlassen??… GOTT: ER: …Was wird bleiben von mir? An was wird man sich erinnern? GOTT: … ER: Ich war kürzlich am Grab meiner Mutter. Ich hatte meine Mutter komplett vergessen... Wie die Zeit vergeht! Das Grab ist nicht mehr da… Das Grab ist weg. Sie ist weg… Was bleibt übrig von uns? GOTT: ER: Meine Kinder, meine Frau, meine Eltern, meine Geschwister, meine Freunde, meine Mitarbeiter… meine Geschäftspartner… Manchmal habe ich andere glücklich gemacht… Manchmal habe ich mich glücklich gefühlt… GOTT: ER: …Ich habe keine Menschen bewusst oder willentlich unglücklich gemacht. Ich habe Fehler gemacht. Ja, viele. Ja, und ich habe Menschen enttäuscht… GOTT: ER: …aber ich hinterlasse mehr Positives als Negatives. Meine Lebensbilanz ist gut... GOTT: ER: …Warum habe ich gelebt? Was hat mein Leben ausgemacht? Im Schweiße meines Angesichts, habe ich mein Brot verdient. Ja, sicherlich, aber das war ES wert. GOTT: ER: Ja, das war es MIR wert. GOTT: ER: Ja, das war es mir wert… wertvoll… GOTT: ER: GOTT: ER: …Warum habe ich dir nicht schon viel früher zugehört? GOTT: ER: GOTT: ER: GOTT: ER: …Warum habe ich dir nicht schon viel früher zugehört? GOTT: ER: …Warum… GOTT: Lass‘ uns ein wenig spazieren gehen… wir haben uns viel zu erzählen… SPRECHER: Feuerwehr, Polizei und Notarzt sind mit Einsatzfahrzeugen am Unglücksort eingetroffen. Das Unfallauto steht lichterloh in Flammen. Feuerwehrleute seilen sich hinunter zu dem brennenden Auto ab. Die Polizei hat den Platz vor dem Abhang für die Arbeit der Einsatzkräfte freigeräumt und mit einem rot-weißen Absperrband gesichert. Ein Hubschrauber kreist laut hämmernd, Papier und Laub aufwirbelnd über dem Unfallgeschehen. Zwei lange Autoschlangen haben sich aus beiden Fahrtrichtungen kommend vor der Unfallstelle gebildet. Langsam fahren die Autos an der Unglücksstelle vorbei. Autofahrer und Mitfahrer versuchen Blicke auf das Treiben zu erheischen. Verzweifelt winkt eine Polizeibeamtin den gaffenden Autofahrern zu, schneller an der Unfallstelle vorbeizufahren. „Der Tag fängt ja verdammt mistig an“, denkt sie sich. Sie lächelt in sich hinein und denkt dabei an ihren sechsjährigen Sohn, den sie am Nachmittag bei ihrem Ex-Mann für ein gemeinsames langes Wochenende abholen wird. „Ja dafür lohnt es ich zu arbeiten… Im Schweiße meines Angesichts“. Schaulustige zwängen sich hinter dem Absprerrband auf der Suche nach guten Positionen für ein spektakuläres Handyvideo. Eine ältere Dame, die von ihrem Sohn zur wöchentlichen Physiotherapie gefahren wird, drängt sich ganz aufgeregt an einen der Polizisten hinter der Absperrung: „Da war ein Landstreicher an dem Auto! Der war da am Auto und hat die Türe aufgemacht. Er hat mit dem Fahrer gesprochen. Ich habe es ganz genau gesehen“. „Ach Mama, jetzt lass‘ doch die Polizei ihre Arbeit machen... Ich muss jetzt weiter ins Büro“, unterbricht der Sohn seine Mutter. Er macht eine genervte Mine in Richtung des Polizisten und deutet mit einer kreisenden Handbewegung an seinem Kopf an, dass seine Mutter wohl verwirrt sei. Der Polizist nickt verständnisvoll: „Ja, wir müssen alle unser Geld hart verdienen“ und denkt sich „Im Schweiße des Angesichts“. „Im Schweiße meines Angesichts“, denkt sich der Sohn als er seiner Mutter im Eingangsbereich des „Betreuten Wohnen“ flüchtig auf die Wange küsst. „Maloch! Maloche! Verfluchte Maloche“, denkt sich der Mitarbeiter des Malerbetriebes als er wieder in seinen Transporter einsteigt, die Handbremse löst und den ersten Gang einlegt: „Verdammter Mist, so schnell kann alles zu Ende gehen. Ist es das wert? Ist das die tägliche Plackerei wert? … Ja, verdammt noch mal das ist es! Ja, für meine Familie und mich…“, brüllt er gegen die allmorgendlichen nicht endend wollenden Verkehrsnachrichten im Autoradio an. „Ja, verdammt noch mal das ist es mir wert!“ „…Ja, das ist es… Ja, das ist es mir wert“, flüstert er als er das Autoradio ausschaltet und das Handy-Video des brennenden Autos löscht… Amen (Gesprochen von den Dreien)