Im Schweiße deines
Angesichts (Gen3,19) –
Das ist es mir wert.
Im Schweiße deines Angesichts? Du bist genug!
Predigt zu Gen 3,19
von Niklas Jacobs
Montagmorgen, 5:40 Uhr, Halle 111 im Werk eines großen Automobilherstellers.
Ich halte meinen Mitarbeiterausweis vor die elektronische Stechuhr, höre den
vertrauten Piepton und betrete die Umkleide. Einige der dunkelgrünen
Metallspinds stehen offen, vor ihnen zieht sich jemand um oder gähnt, es wird
noch nicht viel gesprochen vor der Frühschicht. Über der Treppe, die nach
unten in die Produktionshalle führt, steht mit schwarzem Edding „Paradies“
geschrieben. Unten stehen große Maschinen, Roboterarme, Kisten voller
Materialien und Werkzeuge. Es riecht nach Motoröl und Schweiß. In wenigen
Minuten setzt sich das Band in Bewegung, dann ist es laut, dann schlagen Hammer
auf Metall, quietschen die Räder der Gabelstapler über den grauen
Bodenbelag, rasseln Ketten und surren Akkubohrschrauber. Dieter sitzt noch
einen Moment am Tisch, isst sein Frühstück auf und wirft der Zeitung einen letzten
Blick und mir ein freundliches „Morgen!“ entgegen. Er ist nicht besonders groß,
aber auch nicht wirklich klein, etwas unscheinbar, trägt eine Brille. Dieter steht hier
schon seit 35 Jahren am Band. Wie viele Schrauben er schon an wie vielen
Motoren festgezogen hat, lässt sich längst nicht mehr zählen.
Manchmal denke ich noch an ihn zurück und an die Wochen, die ich im Sommer
nach meinem Abitur als Ferienjobber in der Fabrik verbracht habe. Für mich war es
eine gut bezahlte Beschäftigung für die freie Zeit nach der Schule. Die meisten
anderen hier verdienten sich ihren Lebensunterhalt mit zum Teil schwerer
körperlicher Arbeit.
In einer Zeit ohne Maschinen und Stechuhren, einer Zeit, in der Umkleidekabinen
noch nicht nötig waren, befinden sich ein Mann und eine Frau in einem
wundersamen Garten. Um sie herum wachsen die schönsten Pflanzen, Bäume tragen
saftige Früchte. Es ist ein friedlicher Ort und der Mann und die Frau haben ein paar
klare Verhaltensregeln von ihrem Schöpfer bekommen: Sie sollen den Garten
bebauen und bewahren und sie dürfen alle Früchte essen außer jene vom Baum der
Erkenntnis. Das klingt nach recht leichten und übersichtlichen Vorgaben, doch
führen der Reiz des Verbotenen und eine listige Schlange am Ende dazu, dass die
beiden die Frucht vom Baum der Erkenntnis essen. Daraufhin verflucht Gott die
Schlange dazu, am Boden zu kriechen, die Frau soll unter Schmerzen Kinder
gebären und der Mann soll mühsam seinen Acker bebauen und schwer für sein Brot
arbeiten.
Wer arbeiten und davon leben kann darf sich erst einmal glücklich schätzen. Eine
gute Arbeit bringt Sinnhaftigkeit und Anerkennung. Voltaire schreibt, dass die
Arbeit drei große Übel fernhält: Die Langeweile, das Laster und die Not.
Müßiggang ist hingegen verpönt. Wer nicht arbeitet, wird schnell mit Faulheit
in Verbindung gebracht. Arbeitslosigkeit geht mit finanziellen
Einschränkungen und gesellschaftlichen Konsequenzen einher. Doch auch die
Arbeit birgt ihre Schattenseiten: Angefangen bei der wenigen Zeit, die für Familie
und Hobbys bleibt, über ein erhöhtes Stresslevel bis hin zum Burnout. Gerade
Männer definieren sich oft stark über ihren Beruf und können der
kapitalistischen Verwertungslogik, in der sie ihre Arbeitskraft gegen Geld
eintauschen, kaum entkommen. Es gibt immer wieder Geschichten von Männern,
die ihre Arbeit verlieren und sich dafür so schämen, dass sie ihrer Familie davon
nichts erzählen und weiterhin jeden Morgen aus dem Haus gehen. Verstärkt durch
die CoronaPandemie steigt die Angst davor, die Arbeit zu verlieren und nicht
wenige Männer brauchen nach dem Renteneintritt einige Zeit, um sich an die
neue Rolle außerhalb des Berufs zu gewöhnen. Was macht einen Mann denn
dann aus, wenn nicht die Arbeit und die Rolle als Ernährer? Sind Männer nicht
mehr als ihr Beruf und mehr wert als ihr Gehalt? Die Arbeit kann einen Teil des
Lebens ausmachen, aber keinen Menschen. Gott sagt: Meine Gnade ist alles, was
du brauchst (2. Kor 12,9). Er liebt jeden einzelnen Menschen und jeder einzelne
ist durch Jesu Tod am Kreuz genug: Der Manager und der Fabrikarbeiter, der Student
und der Vater, der Arbeitslose und der Pensionär.
Mit Blick auf Gottes Strafen für den Sündenfall lässt sich aus heutiger Sicht
sagen, dass Schlangen zwar nach wie vor am Boden kriechen, aber längst nicht
alle Frauen sich dafür entscheiden, Kinder zu bekommen und nicht alle
Männer schweißtreibende Arbeiten verrichten. Zur biblischen Aufgabenteilung
sind neue Modelle hinzugekommen, in denen Väter Sorgearbeit leisten und Mütter
den Lebensunterhalt verdienen oder sich Eltern beides teilen. Der Schweiß und
die Mühsal, von denen im Garten Eden die Rede war, können im
übertragenden Sinne auch verstanden werden als Leidenschaft und Hingabe -
für andere Menschen, für Gerechtigkeit und gesellschaftliche Anliegen, für die es
sich zu kämpfen lohnt. Was wir auch machen mit der Zeit, die Gott uns auf Erden
geschenkt hat, wir sind geliebt. Wofür wir auch schwitzen mögen - die Familie,
die Gemeinde, die Arbeit in der Fabrik oder das politische Engagement - wir sind
genug.
Amen